Wolfgang Lüttgens
Texte Arbeiten mit Fotografie
Brühler Kunstverein 25.08. - 19.06.2006

Einführung: Dr. Gabriele Uelsberg

Wolfgang Lüttgens ist kein Fotograf oder Fotokünstler. Er benutzt die Fotografie als Mittel zum Zweck, als Ausgangsmaterial, das er im Sinne seines künstlerischen Konzeptes weiterbearbeitet.
Die Fotografie ist für ihn ein Medium unter anderen, brauchbar insofern, als dass sich damit eine Spur der Realität festhalten lässt. Dabei dient ihm ein Archiv selbst aufgenommener Fotografien als materialisierter Erinnerungsspeicher. Die Auswahl erscheint unhierarchisch, aber doch mit Gewichtung: Nicht zufällig nimmt der eigen Arbeitsplatz, das Atelier, einen umfangreichen Komplex für sich in Anspruch.
Auf den sogenannten Atelierbildern, den im Brühler Kunstverein gezeigten Wandarbeiten, werden ausschließlich Aufnahmen vom eigenen Atelier in einer collageähnlichen Technik mit Hilfe der digitalen Bildbearbeitung zusammenmontiert. Wir werden mit vielschichtigen Bildräumen konfrontiert, die sich von den zugrundeliegenden Fotografien schon weitgehendst gelöst haben. Innerhalb der verrätselten Bildräumlichkeit setzen einzelne dezidiert herausgearbeitete Formen und Strukturen prägnante Akzente. Dabei bietet die Bildbearbeitung am Rechner neue, künstlerisch einsetzbare Möglichkeiten, die über die traditionellen Verfahren der Überblendung oder der Collage weit hinausgehen. Einzelne Bildelemente können, in Rahmen gesetzt, vergrößert oder verkleinert, aufgehellt, abgedunkelt, durch unterschiedliche Auflösungen verfremdet, gedoppelt oder gespiegelt werden. Zur Auswahl stehen eine Fülle malerischer Manipulationen bis hin zur Technik des sogenannten Sprühens, oder Einfärben von knallbunt bis zur zartesten Lasierung. Die gesammelten Foto-Eindrücke verdichten sich in der Computerbearbeitung zu einem vor- und zurückschwingenden Bildraum, aus dessen Tiefe wenige einzelne Details flüchtig an die Oberfläche empor zutauchen scheinen wie knappe Erinnerungsfetzen. Aus den Ablagerungen der gespeicherten Erinnerung schaffen sie es nur für einen kurzen Moment ins Bewußtsein zu gelangen. Im weiten Raum des Gedächtnisses konkretisieren sich die Einzelheiten eher flüchtig und marginal, erscheinen aber desto stärker aufgeladen mit einer Symbolik von archetypischer Kraft. Was bleibt ist die Vorstellung eines mächtigen, aber undurchschaubaren Beziehungsgeflechts. In diesen Bildern spielen Überblendungen, Spiegelungen und die scheinbare Überbelichtung deshalb eine so große Rolle, weil sie sich nach hinten und nach vorne öffnen.

Diesem raumgreifenden Denken entsprechend geht Wolfgang Lüttgens in einer anderen Werkgruppe direkt in den Raum hinein. Bei den ebenfalls im Brühler Kunstverein auf Augenhöhe präsentierten, sogenannten „Blättern" beschränkt er sich jeweils auf eine einzige Fotografie in Form eines konventionellen Papierabzugs. Der Gegensatz zu den hochtechnisierten Atelierbildern ist frappant: Mit denkbar simplen mechanischen Eingriffen - Ausstanzungen und Verbiegungen - wird aus dem planen, rechteckigen Foto ein plastisches Objekt. Sie haben etwas Organisches an sich und erinnern an ein eingerolltes, zerfranstes Laub. Die kreisrunden Perforierungen haben sich teilweise schon weit durchgefressen, das einzelne Teile abgefallen sind und sich das Motiv kaum mehr rekonstruieren lässt. Stattdessen kann sich das Augenmerk auf die Details konzentrieren. Der Blick tastet das Bild ab, und nimmt die farblichen Abstufungen auf eine Weise wahr, die bei der Betrachtung einer intakten Ansicht eher vernachlässigt würde. Auch in diesem Fall hat der Eingriff eine Abstrahierung des Ausgangsmaterials zur Folge. Die Information verlagert sich weg vom begrifflichen Motiv auf eine ästhetische Wahrnehmungsebene, die sich von Phänomenen faszinieren lässt wie dem Spiel zwischen Positiv- und Negativform, Ober-/Unterseite, konvex/konkav; dem fragilen Gleichgewicht zwischen Auflösung und Zusammenhalt; dem ineinandergreifen von ornamentalen Muster und gewachsener Struktur, der Zerbrechlichkeit schmalster Verbindungsstege im Gegensatz zur scharfkantigen Rechteckform; dem Wechsel von Licht und Schattenzonen.

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